[tr]iggerwarnung Triggers with attitude

Über Alles

Viele fragen mich, warum ich nichts mehr schreibe. Die kennen mich von früher, als ich einen Blog hatte und nebenbei über miese Videospiele gelästert habe. Manche haben »aber egal« gelesen.

Andere fragen mich, warum ich nicht MEHR schreibe. Die kennen mich nicht so lange, lesen meine Mails, hören meine Meinung… und wollen echt wissen, warum ich keinen Blog habe, ob ich bei Twitter sei, bei Instagram, Facebook, whatever. Manche fordern, ich solle Kolumnen schreiben. Oder ein Buch.

Und ich hätte bestimmt viel zu erzählen. Mehr als früher, witziger und deutlich offener. Über Depressionen z.B., Risiken und Nebenwirkungen. Über die Freuden und Leiden einer hervorragenden Trennung, über Patchwork-Homework, über meine großartigen Kinder. Über meine Zeit als Jugendtrainer einer Fußballmannschaft. Über St. Pauli, den HSV, den DFB und HFV. Über Donald Trump, Sexismus, Cancel Culture und politische Korrektheit. Über die Amerikanisierung unseres Rechtsempfindens. Über Tupac, Bob Dylan und van Morrisson. Über Prince, Spike Lee und Steven Biko. Über deutschen Hip-Hop. Über Bücher, die ich lese, Filme, die ich schaue. Über das Leben in Werbeagenturen in den 90er-Jahren, über den Alltag im Homeoffice seit 2003. Über Sim Racing, App Design und PC-Eigenbau. Über Gott, Sex und andere Tabus. Über Wahlpflicht, Gender-Paygap und Hetero-Normativität. Über Body-Shaming, Abtreibungen und Fehlgeburten. Über Pegida, die AfD und… Sascha Lobo.

Aber ich schreibe nicht. Nicht mehr, nichts mehr. Aus Angst, ganz einfach. Aus Angst.

Ich habe Angst vor dem Mob. Angst vor dem Mob der Zitate-Jäger, die in jedem S-Wort ein B-Wort v-worten und das K-Wort ins T-Wort treten. Ich hab Angst vor den unbewegbaren Moral-Bewegten, die mit aller Gewalt ihre Keulen schwingen und die leichtesten Worte auf nachhaltige Goldwaagen legen. Ich hab Angst vor den großen heeren Zielen, die diese Zeitgenossen vor sich hertragen wie Plakate für nen Urlaub in Utopia. Angst vor den meinungsfreien Meinungsmachern, die meinen, meine Meinung sei kein Recht, sondern ne Pflicht. Angst vor den Blasen-Bullys, die Bauchgefühle über Zahlen stellen und wie hysterische Kinderbanden kreischen, niedermachen, ausschließen, verbieten.

Ich hab Angst, dass irgendwer irgendeinen Satz von früher rauskramt — von vor den Kindern, vor der Firma, vor dem Sturm —, in dem ich vielleicht irgendwas gesagt hab, was ich heute nicht mehr sagen würde.

Ich hab Angst, dass Nazis Schnittpunkte sehen, mich vereinnahmen, und ich dann Rede und Antwort stehen muss, wieso ich Nazis Futter liefere. Dieser ganze verquere Rechtfertigungsscheiß macht mir Angst, und nein, »verquer« ist keine Anspielung; vögel einfach, wen du willst, ey, mir echt schnuppe. Und geh Nazis boxen, bitte, box Nazis. Weg mit dem Dreck.

Und ich hab nicht meinetwegen Angst, ich hab ne dicke Haut. Ich bekomm seit 20 Jahren Hasskommentare, weil ich unpopuläre Meinungen habe, über alles Witze mache, mir tatsächlich gar nichts heilig ist, und ich ein — auweia-popeia — angeblich überteuertes Schreibprogramm verkaufe. You can’t touch me.

Womit ich endlich, endlich, sorry, sorry… beim Thema wäre: Ich hab schlicht Angst um meine Firma. Um den Laden selbst, klar, aber vor allem um meine Mitarbeiter und unsere Kunden. Würde ich hier, anderswo, sonstwo schreiben, was ich wollte, wären unsere Supporties mit Anschuldigungen konfrontiert, die nichts mit dem Produkt, sondern ausschließlich mit meinen Worten zu tun haben. Unsere Bewertungen gingen in den Keller, und Nutzer würden abspringen, weil ich irgendwem auf den Schlips getreten bin, und weil einer seiner Kumpels oder Tanten nix weiter hat, als zu viel Zeit und ne hohe Reichweite. Wir könnten schaffen, wie die Irren, aber jede Release wär ein Spießrutenlauf.

Ich bau ein Schreibprogramm, ok, und ich kann es nicht nutzen, weil meine privaten Texte im Zweifel geschäftsschädigend sind. Es ist: zum Kotzen.

Ich müsste ja nicht mal was Kontroverses schreiben. Es langt, wenn irgendein Arschloch da draußen meint, ich hätte was Kontroverses geschrieben. BUMM — Beweislast bei mir. Hier ne Verkürzung, dort ne Headline, da ein Konter. Ende Gelände: Boykottaufrufe, Richtigstellungen, wieder von vorn. Und ich sprech aus Erfahrung. Warum wohl bin ich weg von Twitter?

Mein Hirn ist voller Ideen, die ich nicht bringen kann, weil ich damit meine Firma angreifbar mache, meine Geschäftspartner, meine Leute.

Das nennt man Schere im Kopf, und ich seh schon die selbstgerechten Mainstream-Schneiderlein, wie sie »gut so« rufen, weil meine toxischen Gedanken ihren quotenrein-diversen Safe Space nicht erreichen werden. All die woken weißen Überprivilegierten, die ohne Not und Risiko die Klappe aufreißen. Die noch nie wirklich in ner Krise waren, noch nie wirklich kämpfen mussten. Weder für ne Meinung noch ne Haltung oder Einstellung. Die nix zu verlieren haben, außer ihren Einfluss auf die homogene Masse, zu der sie gehören wollten, und bei der sie nun hängen.bleiben.müssen. Die den Wohlstand wohlfeil nutzen und dann fordern, dass man sich mit ihnen dafür schämt.

Und dieser rhetorische Trick mit der »Meinungsfreiheit«, die »weder Recht auf Bühne« sei, noch »vor Kritik schützt«. 🤮 Das lässt sich fein sagen, wenn man ne Bühne hat und vor Kritik geschützt so vor sich hinbubbled im Friede-Freude-Eierland der »darf ich mitgehen, Mami«-Protestbewegung.

Das Schlimme, das wirklich, wirklich Schlimme ist, dass ich mich durchaus identifiziere mit all den Wünschen, Träumen, Hoffnungen da draußen. Ich aber die Methoden und vor allem diesen geschliffenen, fertig ausgedachten, angeblich alternativlosen Einheitsbrei nicht aushalten kann. Das ist Dogma, Widerspruch ist Ketzertum, und das Fortführen der Analogie passt wie Faust aufs Auge.

Ja, Ihr habt’s geschafft: Ich hab Angst. Ich hab Angst mich zu äußern. Happy soweit?

Ihr habt’s aber auch geschafft, dass ich echt nicht mehr kann. Ich kann nicht mehr zuhören, ich brauch ein Ventil. Ich brauch ein großes Ventil. Ein lautes Ventil. Und ich mach ab sofort, was ich schon viel früher hätte machen sollen: Ich scheiß auf euch. Ihr seht Rassismus? Ich geb euch Schwarz und Weiß. Ihr seht Sexismus? Ich geb euch Arsch und Titten. Ihr seht Homophobie? Ich fick euch in den Arsch.

No Vaseline.

Zwischen Juni 2020 und August 2022

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